Mittwoch, 19. Januar 2011

Die Reissbrettstadt

Einige Leute werden sich an die Stirn tippen, wenn sie erfahren, dass wir Sydney aus unserer Reiseroute strichen und stattdessen mehr Zeit in Canberra verbrachten. Aber genau das haben wir getan. Und wir bereuen es nicht, denn Canberra ist nämlich besser als sein Ruf als langweilige, künstlich geschaffene Regierungsstadt.

National Art Gallery

Es ist wahr, dass der Ort 1908 in einer formellen Evaluation aus einer ganzen Reihe von möglichen Kandidaten für die neu zu gründende Kapitale der 1901 geschaffenen Nation Australien auserkoren wurde (vorher bestanden lediglich sechs einzelne britische Kolonien, und Melbourne hätte nie zugelassen, dass Sydney die Hauptstadt wird, und umgekehrt). Es ist wahr, dass "Canberra" 1913 als Name für die neue Stadt gewählt wurde (Alternativen waren u.a. "Shakespeare", "Eukaypt", "Wombat", etc.). Es ist ebenso wahr, dass das Layout der neu zu bauenden Stadt 1912 via einen Wettbewerb bestimmt wurde, den der US-Architekte Walter Burley Griffin und seine Frau gewannen (vorher gab es dort nur ein paar Schaf- und Viehfarmen). Alles per Design und Dekret, sozusagen.
Die Landesväter hatten sich sicher nicht vorgestellt, dass es bis 1927 dauern würde, bis sie das provisorische Parlamentsgebäude in Canberra beziehen konnten (das definitive wurde 1988 eröffnet), und dass die Wirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg die neue Stadt in ihrer Entwicklung aufhalten würden. Der von Burley Griffin ins Zentrum seines Designs gestellt (Stau-) See wurde erst 1964 eingeweiht. Dass es aber bis gegen das Ende des 20. Jahrhunderts dauerte, bis die Stadt in die Gänge kommen würde, war wirklich nicht zu erwarten.

Canberra ist aber wirklich eine bemerkenswerte Stadt. In einer ersten Phase für bloss 25'000 Leute geplant, zählt sie heute 430'000 Einwohner, und man kriegt keineswegs den Eindruck, sie würde aus allen Nähten platzen. Ganz im Gegenteil: die Stadt ist unheimlich "roomy". Es ist nicht eine Stadt mit Pärken, es ist ein Park mit einer Stadt. 20 Millionen Bäume wurden in und um die Stadt gesetzt. Die Strassen (inklusive Quartierstrassen) sind breit, mit Grünstreifen links und rechts und oft auch zwischen den beiden Richtungen. Oft gibt es Velostreifen oder sogar Velowege, und tatsächlich wird mehr Velo gefahren als wir das bisher in irgendeiner anderen australischen Stadt gesehen haben.


Hügel zu allen Seiten und Berge in der Distanz verleihen eine interessante Kammerung. Und der See ist das Tüpfchen auf dem "i".



Canberra besitzt gleich eine ganze Reihe von erstklassigen Museen. Unser Freund Peter hatte uns prophezeit, dass wir leicht einen ganzen Tag im War Memorial Museum verbringen könnten. Wir kamen an einem Tag nicht einmal bis in den zweiten Stock.


Das Museum zeigt auf eindrückliche Weise, wie engagiert die australischen Streitkräfte in der Weltpolitik mitmischten (als Teil es britischen Empire bedeutete eine Kriegserklärung durch die Queen, dass Australien nun auch im Krieg war), und wie hoch die Verluste waren (über 100'000 im Ersten Weltkrieg, über 250'000 im Zweiten). Dabei war der einzige eigene Konflikt 1942 ein eher unbedeutender Angriff der Japaner auf Darwin und Sydney (der aber bedeutend bedeutender ausgefallen wäre, wenn Australien in Südostasien die Aliierten nicht schon früher kräftig unterstützt hätte). Auch die Widersacher dieser kriegerischen Auseinandersetzungen werden im Museum gewürdigt und mit vielen Originalartefakten dargestellt.


Die National Portrait Gallery im neuen Gebäude ist eine Wucht, die Sonderaustellung mit 1.0x1.5m-Werken von Martin Schoeller war eine Zugabe erster Klasse.


Die National Capital Exhibition erklärt und dokumentiert multimedial und mit tollen Modellen und Originalplänen den Werdegang von Canberra selbst und offeriert dabei eine kaum zu überbietende Aussicht auf den See und den südlichen Teil der Stadt.



Modell (Sicht gegen Süden)

Der Telstra-Turm auf dem Black Mountain bietet einen einzigartigen 360°-Rundblick über die Stadt und zeigt auch, dass Canberra auf allen Seiten von Grün umrundet ist.


Und schliesslich kamen wir auch kulinarisch auf die Rechnung und assen uns durch das Manuka-Quartier rund um die Franklin Street.

Natürlich kann sich Canberra in vielen Bereichen nicht mit Sydney messen, aber da wir beide zu früheren Zeitpunkten schon in Sydney aber nicht in Canberra waren, genossen wir die drei Tage "in the mountains" vorzüglich (Canberra liegt auf ca. 600m.ü.M, der Mount Kosciuszko im angrenzenden Nationalpark ist 2228m hoch).

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