Freitag, 2. Oktober 2015

Outback Stations, Teil 1


Was der Unterschied zwischen einer Farm und einer Station ist • Wie die ersten grossen Stations gegründet wurde  • Warum es nicht damit getan war, Land abzustecken • Wie man viel Geld verlieren konnte.

Wenn man im Outback den endlos scheinenden Zäunen entlang fährt oder Viehroste passiert, die auch einmal 30 km auseinander liegen, und am Wegrand Schilder oder ausgediente Traktorenreifen mit in weiss gepinseltem Station-Namen sieht, stellt sich Neugier ein. Oft ist weit und breit kein Hof zu sehen. Wem gehört die Station? Wie gross ist sie? Wie weit ist es von zum Hof —1 km, 10, 50 ? Ist es ein schicker Landsitz oder nur eine Ansammlung von Wellblechgebäuden? Wie viele Leute arbeiten dort? Wie viele Tiere werden gehalten? Wie lange gibt es die Station schon?




In Australien ist eine Farm immer ein landwirtschaftlicher Betrieb, der Früchte, Gemüse oder Milch produziert. Und dies natürlich in australischen Dimensionen: riesige Kartoffelfelder, ganze Landstriche mit Baumwolle, Weizen bis an den Horizont, Hunderte von Kühen. Die Sähmaschinen und Mähdrescher werden automatisiert und zentimetergenau über die GPS-Position gesteuert, im Melk-Karussell werden gleichzeitig 30 Kühe gemolken.

Geerntetes Weizenfeld, Eyre Peninsula, SA

Canola (Raps), Victoria

Lucie erklärt uns ihre Welt, SA

Air Seeder, GPS-gesteuert: steckt im Folgejahr die Samen zwischen die Reihen vom Vorjahr

Wenn es aber um flächenmässige Superlative und extreme Lebensbedingungen geht, dann haben die Viehzuchten, Stations, deutlich die Nase vorn. Die grösste aller Stations, Victoria River Downs (Wikipedia) im NT, war 1882 fast genau gleich gross wie die Schweiz: 41’155 km2 (2012 “nur” noch 8'900 km2). Die aktuell grösste Station, Anna Creek in SA, umfasst 23’677 km2 Land. Wäre Anna Creek Station ein Kreis, dann hätte dieser einen Radius von 86 km, oder anders gesagt: wenn das Zentrum des Kreises in Zürich wäre, dann lägen Grenchen, Andermatt, Films und Lindau auf seinem Perimeter.

Ab und zu gibt es Farm Stays oder Stations Stays, wo man in der Nähe des Hofes campieren kann und nebenbei einen Einblick in das Leben auf der Farm oder Station erhält. Das sind aber meistens kleine Familienbetriebe, auch wenn sie flächenmässig im Verhältnis zu einem Schweizer Bauernhof extrem gross sind. Die wirklich grossen Güter gehören Firmen oder Investoren, haben Angestellte und werden von Station Managers geführt, die keine Zeit haben für neugierige Reisende, denn dieser Betriebe müssen ganz einfach rentieren. Zudem entstünde ein Haftungsproblem, wenn sich ein Besucher auf der Station verletzen würde. Aber manchmal hat man Glück und trifft jemanden, der auf einer Station arbeitet. Auch in kleinen Country Pubs kann man einiges über die umliegenden Stations erfahren.

Arckaringa Station, SA

Streng genommen gehören die meisten Stations und Farmen nicht den Betreibern sondern dem Staat und sind nur gepachtet. Als die australische Karte im frühen 19. Jahrhundert noch grösstenteils graue Fläche war, und der Kontinent von der Küste her besiedelt wurde, wurden neue Gebiete von den Kolonien vermessen, in Grundstücke (blocks) aufgeteilt, und diese für wenig Geld an die ankommenden Siedler verpachtet. Teilweise wurde Land als Belohnung an Beamte, Soldaten, etc. verschenkt. Dass das Land eigentlich den Aborigines gehörte, die darauf seit Zehntausenden von Jahren gewohnt hatten, interessierte die Britische Krone so wenig wie die Siedler selbst, denn diese pachteten das Land ja von der Kolonie und glaubten deshalb, ein Anrecht darauf zu haben.

Gewissen Pionieren ging die Landvermessung und -vergabe aber zu wenig schnell, und sie steckten sich ihre Pachten ausserhalb der vermessenen Grenzen gleich selbst ab. Diese Pioniere wurde als Besetzer (squatters) bezeichnet, und natürlich mussten sie sich gegen die lokalen Aborigines durchsetzen. Weil sie den Behörden die Vermessungsarbeit und viel Ärger mit den Aborigines abnahmen, wurde die Squatter-Taktik später zur etablierten Besiedelungspraxis, und es wurden Regeln definiert: wer sich einen Block Land nahm, musste diesen bei der Kolonie registrieren und dann innerhalb von z.B. 24 Monaten mit einer bestimmten Anzahl Rindern oder Schafen pro Hektare bestocken, sonst verfiel das Recht auf den Block. Das verhinderte, dass sich einzelne sozusagen auf Vorrat ganze Ländereien unter den Nagel rissen. Die Pachtgebühren waren anfänglich lächerlich klein.

Trotzdem war es ein grosses und teures Unternehmen, eine rentable Station aufzubauen. Zuerst musste das Vieh gekauft und auf die Pacht (run) verbracht werden. Herden von 500 bis 3000 Tieren durchzogen das Land, manchmal dauerte ein solche Reise 12 Monate und durchquerte den halben oder den ganzen Kontinent. Dann mussten Häuser, Tränken, Gehege, etc. eingerichtet werden. Anfänglich wurde nicht gezäunt, und das Vieh musste gehütet werden. Das war — heute würde man sagen — personalintensiv und konnte meist nur geleistet werden, weil Aborigines die Arbeit unbezahlt verrichteten.

(Bild OUTBACK Magazine, Oct/Nov 2010)



Oft wurden die Pachten wegen einer Reihe guter Jahre mit viel zu vielen Rindern oder Schafen bestockt. Übernutzung war ein Effekt, aber unweigerlich kam die nächste Dürre, so z.B. von 1894 bis 1904. Auf einigen Stations überlebte nur ein Drittel der Tiere. Wegen der herrschenden Trockenheit war es meist zu spät, die Herden in grünere Gefilde zu treiben und dann zu verkaufen. So gab es über Jahre keine Einnahmen, die Pacht musste aber trotzdem bezahlt werden. Viele Runs gingen Pleite, Bauern und Financiers verloren alles, was sie hatten. Sie waren zu viel Risiko eingegangen.

Um eine Station dürreresistent zu machen, mussten Dämme gebaut, das Grundwasser angebohrt, Kanäle oder Leitungen gelegt und tausende Kilometer Zäune aufgestellt werden. Letztere verhinderten, dass sich das Vieh frei bewegte und gute Weiden übernutzte. Die erforderlichen Investition waren enorm, aber notwendig, und konnten oft nur von mächtigen Financiers getätigt werden. So entstanden über die Zeit Firmenkonglomerate wie die Australian Agricultural Company, AACo, oder die S. Kidman & Co.

Yard: hier werden die Rinder zusammengetrieben und "bearbeitet", von hier werden sie transportiert

Windmühle, Grundwasserpumpe, Wassertank

Das extrem spannende und informative Buch Kings in Grass Castles von Mary Durack erzählt die Geschichte ihres Grossvaters, Patsy Durack, der als irischer Einwanderer in den 1860er- bis 1890er-Jahren in Zentral- und Westaustralien als Pionier zusammen mit seinem Schwager John Costello riesige Gebiete absteckte, mit Rindern bestockte, ein hartes und karges Outback-Leben führte, ein Vermögen machte und wieder verlor. Auch als Hörbuch verfügbar, packend gelesen von Jenny Seedsman. Durack und Costello arbeiteten mit den und nicht gegen die Aborigines und waren insofern grosse Ausnahmen, wohl war dies ein Rezept ihres Erfolgs. Auf unserer Fahrt entlang der Duncan Road in WA sowie kürzlich von Birdsville nach Roma fuhren wir durch zwei der bekannten Stations, die Patsy Durack vor fast 150 Jahren begründet hatte.

Im Teil 2 beleuchte ich die Probleme, die es beim Absatz der “Ware” gab, und zeige, wie eine Merino- und eine Rinderstation heute geführt werden.

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